Interview: The Lockward Collective

Die Menschen hinter dem Gewinnerentwurf: The Lockward Collective

The Lockward Collective sind die Gewinner*innen des Kunstwettbewerbs für ein Dekoloniales Denkmal! Die Künstler*innen Jeannette Ehlers und patricia kaersenhout werden in Zusammenarbeit mit dem Berater Rolando Vázquez den Siegerentwurf „EarthNest” realisieren. Technischer Berater ist der Architekt Max Bentler.

Aber wer sind die Menschen hinter dem Siegerentwurf?
Ein Interview von Michaela Zischek


Michaela: Willkommen im Berlin Global Village! Und herzlichen Glückwunsch – ihr seid mit dem EarthNest unter den 244 Einreichungen als Gewinner*innen des internationalen Kunstwettbewerb hervor gegangen. Wer seid ihr? Vielleicht fangen wir mit dir an, Jeannette. Kannst du dich kurz vorstellen?

Jeannette: Vielen Dank, Michaela. Ich bin Jeannette Ehlers und Künstlerin mit dänischem und trinidadischem kulturellem Erbe. Ich lebe in Kopenhagen und arbeite in den Bereichen Fotografie, Video, Installation, Skulptur und Performance. 2006 habe ich meinen Abschluss an der Königlich Dänischen Akademie der Bildenden Künste gemacht und war von 2020 bis 2023 Vorsitzende des des Grant Committee for the Visual Arts der Dänischen Kunststiftung. Meine Arbeiten, darunter das öffentliche Skulpturenprojekt „I Am Queen Mary“, setzen sich oft mit dekolonialen Themen auseinander und haben internationale Anerkennung erlangt.

Michaela: Bitte erzähl uns mehr darüber, mit welchen Diskussionen und Themen sich deine Arbeit auseinandersetzt.

Jeannette: In meiner Arbeit widme ich mich dekolonialen Verfolgungen und Brüchen wobei ich besonderen Wert auf die Ermächtigung und Heilung durch Kunst lege. Ich möchte insbesondere das Vermächtnis des Widerstands in der afrikanischen Diaspora würdigen. Wie die Autorin Lesley-Ann Brown bemerkt, erinnert meine Arbeit die Betrachter*innen daran, dass „die Geschichte nicht in der Vergangenheit liegt".

Michaela: Inwiefern betrifft das Thema Kolonialismus dich persönlich?

Jeannette: Meine Kunst zielt darauf ab, das koloniale Machtsystem zu demontieren, weil ich glaube, dass dieses System unseren Planeten zerstört.

Michaela: Vielen Dank, Jeannette. Patricia, kannst du uns etwas über dich erzählen?

patricia: Ich bin patricia kaersenhout, eine Multimediakünstlerin mit surinamischer Migrationsgeschichte. Ich lebe in Amsterdam und Frankreich. Ich habe Bildende Kunst an der Rietveld-Akademie studiert und ein Postgraduiertenstudium an der BAK in Utrecht absolviert. Meine Arbeiten wurden sowohl national als auch international ausgestellt. Und vor kurzem habe ich für die Stadt Utrecht ein Denkmal für Flucht und Widerstand anlässlich des 150-jährigen Jubiläums der Abschaffung der Versklavung in den Niederlanden realisiert.

Michaela: Herzlichen Glückwunsch, patricia! Damit bist du die erste Schwarze Frau in den Niederlanden, die ein Denkmal realisiert hat. Außerdem wird deine kritische Reflexion zum Braunschweiger Kolonialdenkmal im Juli 2024 eingeweiht werden! Bitte erzähl uns mehr: Was sind die zentralen Themen deiner Arbeit?

patricia: Meine Kunst wirft Fragen zu den Bewegungen der afrikanischen Diaspora und deren Beziehung zu Feminismus, Sexualität, Rassismus und der Geschichte der Versklavung auf. Ich betrachte meine künstlerische Praxis als eine soziale Praxis. Mit vielen meiner Projekte unterstütze ich Menschen, die marginalisierten Gruppen angehören.  

Michaela: Inwiefern betrifft dich der Kolonialismus persönlich?

patricia: Meine Arbeit schafft Räume für Konfrontation, die es ermöglichen, den allgegenwärtigen Schmerz von Rassismus und historischem Leid zu teilen. Dabei wird mein eigener Körper oft zu einer verbindenden Brücke zwischen vergangenem Leid und dem heutigen Publikum. Ich möchte damit einen Dialog fördern, der die Heilung zwischen Gruppen von Menschen anregt, die seit mehr als 500 Jahren in diesen konstruierten Gegensätzen leben. Die meisten meiner Arbeiten haben daher oft einen transformativen Charakter. Ich hoffe, dass das Unbehagen, die Verwirrung und andere Emotionen, die durch meine Arbeit ausgelöst werden, in  positive Energie umgewandelt werden können.

Michaela: Vielen Dank. Rolando, du bist Berater in diesem Projekt. Stell dich gerne einmal vor. 

Rolando: Ich bin Prof. Dr. Rolando Vázques und würde mich als dekolonialen Denker bezeichnen. Ich arbeite an der Universität von Amsterdam und habe gemeinsam mit Prof. Walter Mignolo die María Lugones Summer School gegründet. Diese legt ihr Hauptaugenmerk auf die Erinnerungskultur zur Abschaffung der Versklavung in den Niederlanden. Mein Buch "Vistas of Modernity", das vom Mondriaan-Fonds veröffentlicht wurde, befasst sich mit dekolonialer Ästhetik.

Michaela: Was bedeutet Kolonialismus für dich und dein Leben?

Rolando: Mein Leben ist der Dekolonialität gewidmet, einem ethischen und politischen Projekt für Gerechtigkeit und die Heilung der kolonialen Wunden. Über die Jahre habe ich durch diese Arbeit mit verschiedenen Communities und Expert*innen zusammenarbeiten dürfen. Immer mit dem Ziel Kolonialität zu dekonstruieren und dekoloniale Ebenen für Gerechtigkeit, Heilung und Freude zu finden. 

Michaela: Würdet ihr uns ein bisschen was über euren eingereichten Entwurf erzählen? 

Jeannette: EarthNest ist ein Werk der dekolonialen Heilung und Hoffnung, das einen Gemeinschaftstempel symbolisiert, der verschiedene Communities zusammenbringt und das, was durch koloniale Auslöschungen zerstört wurde, wieder ins Bewusstsein ruft. Der unterirdische Teil des Denkzeichens wird die Erde der Vorfahren aus ehemaligen Kolonien enthalten. Der obere Kegel wird in violetten Tönen erleuchten, um die Kraft der Heilung der kolonialen Wunden zu beschwören. EarthNest ist ein Gemeinschaftswerk, das Communities aus den ehemaligen deutschen Kolonien einlädt, sich zu beteiligen, um ihre Geschichte zu ehren.

Michaela: Welchen Einfluss hatten andere Künstler*innen oder Bewegungen auf eure Arbeit?

Jeannette: BE.BOP (Black Europe Body Politics) in Berlin vor 10 Jahren und die Maria Lugones Decolonial School waren ausschlaggebend und boten eine Plattform für unsere gemeinsame Reise gegen Unterdrückung und für mehr Lebensfreude. Sie halfen uns, unsere dekolonialen künstlerischen Praktiken jenseits der Ästhetik des dominanten Westens zu artikulieren. BEBOB war auch der Zeitpunkt, zu dem wir uns zum ersten Mal trafen.

Michaela: Wie schön, dass ihr nun gemeinsam einen Gedenkort schafft, in genau der Stadt, in der ihr euch zum ersten Mal getroffen habt! Wie seid ihr auf den Namen "The Lockward Collective" gekommen?

patricia: Unsere Gruppe hat ihren Namen von der dominikanischen Denkerin und Schriftstellerin Alanna Lockward, die BEBOP in Berlin initiierte. Wir möchten ihre Arbeit und ihren Geist ehren, indem wir unsere Kräfte bündeln und ein dekoloniales Projekt im öffentlichen Raum verwirklichen.

Michaela: Welche Botschaft oder Wirkung erhofft ihr euch vom EarthNest?

Rolando: EarthNest widmet sich der Heilung der kolonialen Wunde – durch Erinnerung, Trauer und auch das Feiern von Pluralität. Besonders derer die unterdrückt wurden und immer noch unterdrückt werden.

Michaela: Was sind eure Ziele für die Zukunft?

patricia: Wir wünschen uns, dass der Gedenkort diejenigen ehrt, die von der modernen/kolonialen Ordnung unterdrückt wurden, und wir damit zu einem breiteren Erkenntnis- und Heilungsprozess beitragen.

Michaela: Vielen Dank, dass ihr euch die Zeit genommen habt.

Link zum EarthNest

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